***
„Darf ich Sie zum Tanz auffordern?“
Seine dunklen Augen zogen Charlotte sofort in ihren Bann und der warme, tiefe Klang seiner Stimme löste ein Vibrieren in ihrem Inneren aus, wie sie es noch nie vorher gekannt hatte. Sie war nicht mächtig ihm zu antworten, darum nickte sie nur.
Mit sanftem Griff nahm er ihre Hand und führte sie zur Tanzfläche.
Seine Hand war warm und umfasste die ihre auf eine so sicher behütende Art, dass Charlotte ein Gefühl der Geborgenheit ergriff. Und als er sie zum Tanzen in seine Arme nahm wünschte sie sich, dass dieser Tanz nie enden würde, denn noch nie vorher hatte sie sich in den Armen eines Mannes so unsagbar wohl gefühlt, wie in diesem Moment, mit diesem fremden Mann.
Fasziniert voneinander sahen sie sich an, während sich ihre Körper zur Musik aneinanderschmiegten.
„Ich heiße Johannes“, sagte er, und seine Stimme hatte plötzlich einen heiseren Klang.
„Ich heiße Charlotte“, sagte sie, und das Herz klopfte ihr bis zum Hals.
Sie sahen sich stumm an und wussten beide, was geschehen würde. Wussten beide, dass sie keine Chance hatten ihrer aufkommenden Leidenschaft zu entfliehen…
*****
Charlotte spürte die wärmenden Strahlen der Frühlingssonne auf ihrem Gesicht und schloß für einen kurzen Moment genussvoll die Augen, als sie mit ihrer Tochter an der Hand die Stufen zum Kindergarten hinauf ging. „Wie ist das denn jetzt mit Spielen, Mami?“ Lara zupfte ungeduldig an Charlottes Jacke. „Darf Elaine heute Nachmittag zu uns zum Spielen kommen? Ihr Papa hat gestern schon ´ja´ gesagt. Sie wird ja immer von ihrem Papa zum Kindergarten gebracht und abgeholt, weißt du.“
Charlotte entging nicht der traurige Ton in Laras Stimme, als sie von Elaines Vater sprach. Lara vermisste es sehr einen Vater zu haben. Wieder einmal verspürteCharlotte die Last der Schuld wie einen schweren Mühlstein auf ihrem Herzen. Die Schuld, Vater und Tochter einander verschwiegen zu haben.
„Mami, Elaine ist schon da, was soll ich ihr denn jetzt sagen?“
„Okay, Lara“, lachte sie, „von mir aus kann sie gerne kommen.“
*** Charlotte erledigte gerade den Abwasch als sie die aufgeregte Stimme ihrer kleinen Tochter hörte.
„Da sind sie!“, kam Lara aus ihrem Zimmer gelaufen, „ich hab sie vom Fenster aus gesehen.“ Und riss die Wohnungstür schon auf, bevor das Klingeln erklang.
Charlotte hatte ihre Tochter noch nie so aufgeregt und voller Vorfreude erlebt. Lächelnd griff sie nach einem Geschirrtuch um ihre feuchten Hände zu trocknen, als sie Elaines schüchterne Stimme im Hausflur hörte: „Hallo Lara, hier bin ich.”
„Hallo Lara“, erklang eine zweite Stimme, „ich würde gerne kurz mit deiner Mutter besprechen, wann ich Elaine wieder abholen soll.“ – Es war eine männliche Stimme und ihr Klang löste ein Vibrieren in Charlotte aus, wie sie es bisher nur ein einziges Mal erlebt hatte. Energisch drängte sie die aufsteigenden Erinnerungen zurück und zwang sich zu einem gastfreundlichen Lächeln, bevor sie in den Wohnflur trat.
Ein Mann stand in der Wohnungstür, und der Blick seiner dunklen Augen traf Charlotte mitten ins Herz.
„Warum guckt ihr euch so komisch an, Mami?“, sah Lara fragend zwischen den beiden Erwachsenen hin und her. „Deine Mami und ich kennen uns von früher, Lara“, rettete Johannes unsicher die befangene Situation. Das verzweifelte Flehen in seinem Blick riss die steinharte Mauer, die Charlotte in den letzten sechs Jahren um ihr Herz errichtet hatte, in Sekundenschnelle ein.
„Ja, so ist es“, löste sie sich langsam und schleppend aus ihrer Erstarrung, „wir haben uns sehr lange nicht gesehen und sind einfach überrascht, dass wir uns jetzt gegenüber stehen.“
„Ach so“, meinte Lara beruhigt, hakte Elaine freundschaftlich unter und zog sie munter plappernd mit sich fort.
„Hast du Zeit für einen Kaffee?“, kam es Charlotte so plötzlich und unüberlegt über die Lippen, dass sie sich über ihre eigenen Worte erschrak. Johannes nickte, erleichtert, und trat ein.
„Trinkst du deinen Kaffee immer noch schwarz?“, fragte sie in bemüht gelassenem Ton ohne sich dabei von der Anrichte zu ihm umzudrehen.
„Ja, immer noch.“
Sie spürte seinen Blick in ihrem Rücken und ein wohlig warmer Schauer überfiel sie. Ihre Hände zitterten sichtbar, als sie die gefüllten Kaffeetassen auf den Esstisch stellte und sich mit gesenktem Kopf zu ihm setzte.
„Du bist noch schöner geworden, Charlotte“, sagte er leise.
Sie fühlte wie seine Augen liebevoll ihr Gesicht liebkosten, hielt ihren Blick aber weiterhin gesenkt, aus Angst auch das letzte bisschen Selbstbeherrschung zu verlieren, wenn sie ihn jetzt ansehen würde.
„Bitte sag doch was, Charlotte! Schrei mich an, schlag mich, tu irgendwas, aber schweig nicht länger! Auch wenn du es mir nicht glaubst, ich hab mich so sehr gesehnt nach dir in all den Jahren, ich habe nie eine andere Frau so geliebt, wie dich!“
„Ach, ja?“, entfuhr es ihr bitter. „Und warum hast du mich damals so eiskalt abserviert, wenn du mich so sehr geliebt hast?“
Johannes zuckte wie unter einem Peitschenschlag zusammen. „Weil ich keine andere Wahl hatte“, antwortete er leise, „ als ich mich damals in dich verliebt habe, wollte ich meine Verlobung mit Marion sofort lösen. Aber als sie mir dann sagte, sie würde ein Kind von mir erwarten, blieb mir keine andere Wahl, als sie zu heiraten. Ich hab mich entsetzlich gequält mit dieser Entscheidung!“
„ Du hast mir wochenlang Liebe und Leidenschaft vorgegaukelt, verschwiegen, dass dein Hochzeitstermin mit einer anderen Frau schon feststand und behauptest jetzt auch noch, dass du dich mit dieser Entscheidung gequält hättest? Was war ich für dich, Johannes? Eine Art „Junggesellenabschied“? “
Betroffen sah er sie an.
Sein verletzter Blick schnitt ihr ins Herz.
„Du warst und bist die einzige Frau die ich jemals wirklich geliebt habe. Und dass ich dir meine Hochzeit mit Marion telefonisch mitgeteilt hatte, ja, das war feige von mir. Aber ich hätte es nicht ertragen können, dich noch einmal zu sehen und nicht mehr anfassen zu dürfen. Ich musste dich freigeben. Und dachte, ich müsste sterben alleine bei dem Gedanken daran, dass ein anderer Mann dir die gemeinsame Zukunft bieten würde, die uns beiden verwehrt blieb.“
Charlotte schluckte. Sie hatte in all den Jahren niemals daran gedacht, dass es für Johannes Verhalten einen anderen Grund hätte geben können, als dass er sie für eine Bettgeschichte ausgenutzt hatte.
„ Ich habe wochenlang gehofft, die Hochzeit würde aus irgendeinem Grund nicht stattfinden. Darum habe ich sie dir verschwiegen. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen dich nie mehr in meinen Armen zu halten. Ich war so verzweifelt, weil ich dich aufgeben musste!“
„Wieso aufgeben musste? Vielleicht hätte es ja einen anderen Weg gegeben!“
„Einen anderen Weg? Es gab keinen anderen Weg, Charlotte, ich musste mich doch für mein Kind entscheiden!“
„Eben!“
„Eben?“
„Du hast dich für Elaine entschieden und…“, es gab kein Zurück mehr, „…und damit gegen deine Tochter … Lara“. Endlich war es heraus.
Seine Augen ruhten fassungslos auf ihrem Gesicht. „Lara ist meine, meine…?“
„Ja, sie ist deine Tochter, Johannes.“
…
„ Ich habe von meiner Schwangerschaft erfahren genau an dem Tag, an dem du dich von mir getrennt hast. Ich weiß, ich hätte es dir sagen müssen. Aber du warst so kühl und distanziert am Telefon, wie ein Fremder. Ich war schockiert und dachte du hättest mich nur ausgenutzt, mich nie geliebt. Darum habe ich geschwiegen. Und Lara alleine großgezogen.“
„Dann heißt das, du bist nicht verheiratet?“
„Ich bin nicht nur nicht verheiratet, sondern habe mich auch nach dir nie wieder mit einem Mann eingelassen“, brach es aus ihr heraus, „ich fühlte mich so gedemütigt, aber dennoch warst du der einzige Mann, der mir jemals etwas bedeutet hat.“ Charlotte hatte nicht bemerkt, dass Johannes aufgestanden war und zuckte kurz zusammen, als er ihre Hände in die seinen nahm und sie vom Stuhl hochzog.
Seine Hände waren warm, wie damals, und gaben ihr das Gefühl zurück, das sie jahrelang so schmerzlich vermisst hatte. Das Gefühl der Geborgenheit, dass sie schon bei ihrer ersten Berührung verspürt hatte. Gegen all ihre Vernunft ließ sie es geschehen, dass er sie küsste, sanft und fordernd, so wie sie es immer geliebt hatte. Tränen liefen ihr übers Gesicht.Zärtlich wischte er sie weg, vergrub sehnsüchtig seinen Mund in ihrem Haar.
„Bitte, Charlotte, gib uns eine Chance und lass uns wieder zusammen sein. Dass wir uns heute nach all der Zeit wieder begegnet sind, das ist ein Wink des Schicksals! Daran glaube ich ganz fest. Lass mich Laras Vater sein, lass uns so zusammen sein, wie wir es uns immer gewünscht haben.“
„Wir können doch jetzt nicht so tun, als wäre nichts geschehen“, flüsterte sie, als hätte sie Angst diesen Moment des Glücks durch einen lauten Ton zu zerstören. „ Du bist nicht frei, Johannes, du bist verheiratet.“„Nein, Charlotte, ich bin schon lange nicht mehr verheiratet.“
Überrascht sah sie zu ihm auf.
„Marion hat sich, als Elaine zwei Jahre alt war, ins Ausland abgesetzt. Ihre Karriere war ihr wichtiger als ihre Tochter. Seitdem leben wir alleine, Elaine und ich.“
Und dann nahm er sie ganz fest in seine Arme und Charlotte spürte wieder dieses wohlige Gefühl von einst, wusste, dass sie nach langer Zeit, endlich, nach Hause gekommen war.
Liebe Wally,
oh man diese Geschichte erinnert mich irgendwie auch an meine Kindheit. Du musst wissen, mein Vater hat uns verlassen als ich etwa zwei Jahre alt war. Ich weiß nicht richtig ob ich mir jemals einen Vater gewünscht habe. Als wir älter waren sind wir in den Ferien zu ihm gefahren und sonst… es war irgendwie normal für mich. Ich kannte es nicht anders. Meine Mutter, meine Großeltern und Tanten waren immer wieder um mich. Dazu noch meine Schwester…
… aber ich finde deine Geschichte rührt das Herz an 🙂 Mir gefällt sie. Ich liebe Happy Ends!
Ähm aber du solltest noch mal einen Blick auf fehlende und zu viele Leerzeichen werfen 😉 Und am Ende fehlt vor dem „Nein, Charlotte“ ein Absatz.
Liebe Grüße
Laura
Liebe Laura
Wenn meine Geschichten jemanden, so wie dich hier, beim Lesen berühren und eigene Erinnerungen hervorrufen, dann freut es mich noch mehr, sie geschrieben zu haben 🙂 .
Ja, stimmt, da ist die Formatierung erneut verrutscht, beim Einstellen. Ich hatte die Geschichte aus meinem alten Weblog hierher kopiert und erinnerte mich sofort, dass ich auch dort damals Probleme beim Einstellen hatte, weil sich die Formatierung verschob, sich Lücken bildeten wo keine sein sollten oder der Text zusammenrutschte. Ich dachte damals, das läge daran, dass ich den Text noch auf meinem alten Laptop geschrieben hatte, dort klappte das Word-Programm nicht mehr richtig. – Obwohl ich den Text hier vor dem Veröffentlichen mehrmals korrigiert hatte, waren die Änderungen dann doch nach dem Absenden nicht gespeichert. Und bei einigen anderen Geschichten hatte ich dieses Problem auch. Warum, verstehe ich nicht. Ich guck da demnächst noch mal drüber. Danke fürs Anmerken!
Liebe Grüße,
Wally