“Oooh, Fräulein Rottenmeier haben sich aber heute schick gemacht!”
“Was heißt hier heute, Sebastian?” Fräulein Rottenmeier war zutiefst empört. “Ich gehe immer adrett und sauber gekleidet aus dem Haus!” Sie strafte den Hausdiener mit einem vernichtenden Blick.
Sebastian zog unwillkürlich den Kopf zwischen die Schultern, als ob er einem fliegenden Gegenstand ausweichen müsste. “Ja selbstverständlich sind Frau Rottenmeier immer gut gekleidet!” Er schickte der Hausdame ein entschuldigendes Lächeln. “So meinte ich das ja auch nicht.”
“Wie meinten sie es dann?”
“Nun, sie sind heute ein wenig lockerer gekleidet, als üblich.”
“Ein wenig lockerer? Was soll denn das bedeuten, Sebastian?”
“Nicht so zugeknöpft, wie sonst”, entfuhr es ihm.
“Zugeknöpft?” Sie schnappte entrüstet nach Luft. “Meinen sie damit, dass ich sonst gekleidet bin, wie eine alte Schachtel?”
“Aber nein, keineswegs! Ihre Kleidung ist heute nur ein wenig, na, wie sag ich´s am besten”, er rang sichtlich nach beschwichtigenden Worten, um sie nicht noch mehr zu verärgern, ” also nur ein bißchen freizügiger, als sonst. Weiter nichts.” Sein Blick wanderte für einen kurzen Moment von ihrem Gesicht aus abwärts, ein Stückchen tiefer.
“Sebastian! Was erlauben sie sich! Wo sehen sie denn hin? Also jetzt ist aber gut.” Sie zog entrüstet das Schultertuch enger um ihr Dekolltee, wandte sich abrupt ab und öffnete die Haustür. “Sie haben mich schon viel zu lange aufgehalten. Ich muss jetzt zum Fleischer.”
“Zum Fleischer? Aber sie waren doch erst gestern…”
“Stellen sie jetzt auch noch meine Haushaltsführung in Frage? Ich bin ja wohl diejenige, die hier entscheidet, wann Fleisch eingekauft werden muss. Guten Tag, Sebastian!” Sagte es und schwirrte wie eine aufgescheuchte Hummel hinaus.
Als sie am Laden ankam, sah sie schon von draußen, dass kein einziger Kunde an der Theke stand, sie würde also mit ihm alleine sein. Sie nahm noch einmal tief Luft und lockerte dann ihr Schultertuch so weit, dass der schmale Streifen schneeweißer Haut über dem Ausschnitt ihres neuen Kleides sichtbar wurde. Ihr Herz begann aufgeregt zu pochen. Ob er es wohl heute wieder tun würde? Sie hielt ihren Blick vornehm gesenkt, als sie den Laden betrat.
“Guten Morgen, Fräulein Rottenmeier! Womit kann ich ihnen heute dienen?”
“Ich brauche heute drei Pfund Rinderfleisch, Herr Wilhelm.” Sie hielt ihre Augen weiterhin gesenkt, so wie es sich für eine Dame in ihrer Stellung geziemte. Und konnte seinen heißen Blick auf ihr freizügiges Dekolltee regelrecht spüren.
“Aber selbstverständlich, gerne, Fräulein Rottenmeier, kommt sofort!” Er überschlug sich fast vor Freundlichkeit, mehr als sonst, schien ihr. Nun ja, dass hatte sie auch nicht anders erwartet, nach dem begehrlichen Blick, den er ihr gestern zugeworfen hatte. Flüchtig natürlich. Es sollte ihr nicht auffallen. Aber sie hatte es bemerkt. Und war entsetzt. Was bildete der Mann sich ein, sie so anzuschauen? Erst als sie schon wieder zu Hause angekommen war, fiel ihr auf, dass der oberste Knopf ihres Kleides offen stand und ihr schoss nachträglich die Röte ins Gesicht. Wahrscheinlich hatte er angenommen, dass sie den Knopf absichtlich offen gelassen hatte! Extra für ihn. Damit er ihre Haut sehen konnte. Und hatte ihr darum im Gegenzug dafür nicht, wie üblich, die erstbesten Rippchen verkauft, die ihm ihn seine Finger kamen, sondern mit Bedacht besonders schöne ausgesucht. So schien es.
Sie sah ihm zu, wie er mit seinen kräftigen Händen ein Stück Rinderfleisch nach dem anderen kritisch begutachtete. Keines schien ihm heute gut genug für sie zu sein. Er wählte lange aus, bis er sich für ein besonders ansehnliches Stück entschied und es ihr einpackte.
Sie lächelte triumphierend. Männer waren ja so schwache Wesen, so leicht zu beeinflussen.
…Und wenn morgen Frau Stresemann die Familie mit ihrem allmonatlichen Wochenend-Besuch beehrte, dann würde die alte Dame vergeblich nach einem Grund suchen, um ihr wieder einmal schlecht eingekauftes Fleisch vorwerfen zu können. Ja, mehr noch. Frau Stresemann würde nicht umhin kommen sie für ihren guten Einkauf zu loben. Jawohl.