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“Oooh, Fräulein Rottenmeier haben sich aber heute schick gemacht!”
“Was heißt hier heute, Sebastian?” Fräulein Rottenmeier war zutiefst empört. “Ich gehe immer adrett und sauber gekleidet aus dem Haus!” Sie strafte den Hausdiener mit einem vernichtenden Blick.
Sebastian zog unwillkürlich den Kopf zwischen die Schultern, als ob er einem fliegenden Gegenstand ausweichen müsste. “Ja selbstverständlich sind Frau Rottenmeier immer gut gekleidet!” Er schickte der Hausdame ein entschuldigendes Lächeln. “So meinte ich das ja auch nicht.”
“Wie meinten sie es dann?”
“Nun, sie sind heute ein wenig lockerer gekleidet, als üblich.”
“Ein wenig lockerer? Was soll denn das bedeuten, Sebastian?”
“Nicht so zugeknöpft, wie sonst”, entfuhr es ihm.
“Zugeknöpft?” Sie schnappte entrüstet nach Luft. “Meinen sie damit, dass ich sonst gekleidet bin, wie eine alte Schachtel?”
“Aber nein, keineswegs! Ihre Kleidung ist heute nur ein wenig, na, wie sag ich´s am besten”, er rang sichtlich nach beschwichtigenden Worten, um sie nicht noch mehr zu verärgern, ” also nur ein bißchen freizügiger, als sonst. Weiter nichts.” Sein Blick wanderte für einen kurzen Moment von ihrem Gesicht aus abwärts, ein Stückchen tiefer.
“Sebastian! Was erlauben sie sich! Wo sehen sie denn hin? Also jetzt ist aber gut.” Sie zog entrüstet das Schultertuch enger um ihr Dekolltee, wandte sich abrupt ab und öffnete die Haustür. “Sie haben mich schon viel zu lange aufgehalten. Ich muss jetzt zum Fleischer.”
“Zum Fleischer? Aber sie waren doch erst gestern…”
“Stellen sie jetzt auch noch meine Haushaltsführung in Frage? Ich bin ja wohl diejenige, die hier entscheidet, wann Fleisch eingekauft werden muss. Guten Tag, Sebastian!” Sagte es und schwirrte wie eine aufgescheuchte Hummel hinaus.

Als sie am Laden ankam, sah sie schon von draußen, dass kein einziger Kunde an der Theke stand, sie würde also mit ihm alleine sein. Sie nahm noch einmal tief Luft und lockerte dann ihr Schultertuch so weit, dass der schmale Streifen schneeweißer Haut über dem Ausschnitt ihres neuen Kleides sichtbar wurde. Ihr Herz begann aufgeregt zu pochen. Ob er es wohl heute wieder tun würde? Sie hielt ihren Blick vornehm gesenkt, als sie den Laden betrat.
“Guten Morgen, Fräulein Rottenmeier! Womit kann ich ihnen heute dienen?”
“Ich brauche heute drei Pfund Rinderfleisch, Herr Wilhelm.” Sie hielt ihre Augen weiterhin gesenkt, so wie es sich für eine Dame in ihrer Stellung geziemte. Und konnte seinen heißen Blick auf ihr freizügiges Dekolltee regelrecht spüren.
“Aber selbstverständlich, gerne, Fräulein Rottenmeier, kommt sofort!” Er überschlug sich fast vor Freundlichkeit, mehr als sonst, schien ihr. Nun ja, dass hatte sie auch nicht anders erwartet, nach dem begehrlichen Blick, den er ihr gestern zugeworfen hatte. Flüchtig natürlich. Es sollte ihr nicht auffallen. Aber sie hatte es bemerkt. Und war entsetzt. Was bildete der Mann sich ein, sie so anzuschauen? Erst als sie schon wieder zu Hause angekommen war, fiel ihr auf, dass der oberste Knopf ihres Kleides offen stand und ihr schoss nachträglich die Röte ins Gesicht. Wahrscheinlich hatte er angenommen, dass sie den Knopf absichtlich offen gelassen hatte! Extra für ihn. Damit er ihre Haut sehen konnte. Und hatte ihr darum im Gegenzug dafür nicht, wie üblich, die erstbesten Rippchen verkauft, die ihm ihn seine Finger kamen, sondern mit Bedacht besonders schöne ausgesucht. So schien es.
Sie sah ihm zu, wie er mit seinen kräftigen Händen ein Stück Rinderfleisch nach dem anderen kritisch begutachtete. Keines schien ihm heute gut genug für sie zu sein. Er wählte lange aus, bis er sich für ein besonders ansehnliches Stück entschied und es ihr einpackte.
Sie lächelte triumphierend. Männer waren ja so schwache Wesen, so leicht zu beeinflussen.
…Und wenn morgen Frau Stresemann die Familie mit ihrem allmonatlichen Wochenend-Besuch beehrte, dann würde die alte Dame vergeblich nach einem Grund suchen, um ihr wieder einmal schlecht eingekauftes Fleisch vorwerfen zu können. Ja, mehr noch. Frau Stresemann würde nicht umhin kommen sie für ihren guten Einkauf zu loben. Jawohl.

“Du bist mal wieder unausstehlich, Ron!” Hermine wirbelte ihren Kopf mit einer solchen Wucht zur Seite, dass einige Spitzen ihrer fülligen Haarpracht Rons Gesicht trafen.
Der zuckte wie unter einem Peitschenhieb zusammen. “He, kannst du nicht aufpassen, wo du deine störrischen Haare hinschmeißt?” Er rieb mit schmerzerfülltem Gesicht über die getroffene Stelle auf seiner Wange. Erbost baute er sich mit hochrotem Kopf vor ihr auf. “Jetzt reichts aber langsam, mit deinem zynischen Getue. Was ist denn schon wieder los mit dir? Hast du deine Tage, oder was?”
Hermine blieben sprachlos die Worte im Hals stecken. Woher wusste er, dass sie ´unpässlich´war? Sie errötete bis in die Haarwurzeln. “Das geht dich ja wohl gar nichts an!”
“Was geht mich nichts an?”
“Ob ich meine Tage habe, oder nicht.”
“Was soll denn jetzt der Blödsinn? Ist mir doch schnurz egal, ob du deine Tage hast, oder nicht.”
“Na, bitte. Dann ist ja gut.” Sie wandte sich zum Gehen.
“Ist gut? Nichts ist gut!” schrie er ihr hinterher. “Du hast mich mit deinen Besen-Haaren schließlich grob verletzt!”
“Du mich auch!” entfuhr es ihr schärfer, als sie es gewollt hatte.
“Ich dich auch? Wieso denn das? Womit hab ich dich denn verletzt?”
Sie hörte das baffe Erstaunen in seiner Stimme. `Mit deinen Worten und damit, dass du mich nie als Frau ansiehst´,wollte sie ihm über die Schulter zurufen. Tat es aber nicht, sondern blieb stumm und stapfte mit gesenktem Kopf auf den Speisesaal zu, ohne sich noch einmal zu Ron umzudrehen.

Und sah zu spät, dass sie geradewegs auf Draco Malfoy und seine Leibgarde zu marschierte.
“He Hermine, ist dir Essig übers Gesicht laufen?”
Dracos höhnisches Grinsen hatte ihr gerade noch gefehlt und vesetzte sie augenblicklich in höchste Rage: “Lass mich in Ruhe du Satans-Brut!” schrie sie ihm ins verdutzte Gesicht.
“Wer hat dich denn angestoßen, dass du wackelst”, schrie er zurück, “hast wohl deine Tage?”
Erschrocken kehrte sie sich postwendend auf dem Absatz um und verließ den Saal. Scheinbar sah man ihr ihre Unpässlichkeit irgendwie an!… Da würde doch nichts durchgesickert sein?…
Mit einem unangenehm panischen Gefühl im Magen schlug sie die Richtung zu den Toiletten ein.

*** Scheiß Betriebsfeier. In Karen brodelte es.
… Wie dieses junge Ding ihn anschmachtete, echt peinlich, das mit ansehen zu müssen. Und wie er darauf einging, noch schlimmer, flirtete wild mit ihr rum, so wie es seine Art war, das machte er ja mit jeder!
Fast jeder.
Was bildete der sich eigentlich ein! Dachte wohl, einem strahlenden Blick aus seinen nachtblauen Augen könnte keine widerstehen! … So schön war er ja nun auch wieder nicht, und Charisma hatten andere Männer auch, obwohl `Mister Selbstherrlich´ scheinbar dachte er hätte dies für sich allein gepachtet! … tss …

… Jetzt beugte er sich auch noch zu ihr herab … er wird doch wohl nicht hier vor allen Mitarbeitern…? ! … Nein, natürlich nicht, … hach… , denn er würde es sich ja dann mit den anderen Damen verderben … tss …
Jetzt flüsterte sie ihm was ins Ohr … diese dumme junge Zicke merkte gar nicht, dass er nur mit ihr spielte .. Kopf schüttel – und `Mister-von-und-zu-Charisma´ genoss natürlich sichtlich diese Anschmachterei, was auch sonst… und ließ zwischendurch tatsächlich noch seinen Blick über die anderen Partygäste kreisen – wahrscheinlich suchte er sich schon das nächste Opfer aus … der war echt unverbesserlich … Und Carmen aus der EDV Abteilung biss natürlich sofort an und saugte sich an seinem Blick fest! … War klar, die ließ ja keinen aus. Und wenn `Mister-bin-der-schönste-beste ´ sie schon mal mit seinem Blick beehrte …
wahrscheinlich würde sie es sogar schaffen ihn von der Party weg in irgendwelche dunklen Ecken zu ziehen und …
Brodel. Karen zwang sich den Kopf wegzudrehen.
Was regte sie sich eigentlich so auf? War ihr doch scheißegal mit wem er … Hauptsache, sie würde selbst nicht auf ihn reinfallen, nein das würde sie keinesfalls, denn `Herr Robert Selbstherrlich´ interessierte sie nicht die Bohne, einen solchen Typen würde sie noch nicht mal geschenkt haben wollen! Kalt abblitzen lassen würde sie den, wenn er auch nur den Versuch wagen würde!

Zeit sich abzukühlen.
Karen schüttete ein Glas Sekt auf ex runter.
Hmmh, das tat gut. Und gleich noch eins hinterher. So. Und nun hatte sie Bock abzutanzen. Und da die anwesenden Damen ja scheinbar alle auf `Mister – Charisma´ fixiert waren … dürfte es ja kein Problem sein einen Tanzpartner zu finden! Sie würde einfach den erstbesten nehmen, der ihr begegnete.
Gedacht, getan, ließ sie ihren Blick schweifen.
Und zuckte zusammen, als sich eine feste Hand wärmend auf ihre Schulter legte. “Hallo Karen. Wir beide haben noch nie miteinander getanzt. Das müssen wir unbedingt sofort nachholen!”
“Aber klar, gerne!” brachte sie gerade noch heraus, bevor sie sich bereitwillig zur Tanzfläche führen ließ …
… um sich widerstandslos im Strahlen seiner nachtblauen Augen zu verlieren… Ach, Robert, tönte es in ihr, schmelz, schmacht …

Der Duft der Rose

“Komm mir nicht zu nah!”

“Warum?”

“Es könnte dich dein Leben kosten.”

“Ich glaube, du willst nur verhindern, dass ich mich auf einem deiner wunderschönen, roten Blütenblätter niederlasse … “ mutmaßte die kleine Fliege.

“Ja, genau. Denn du bist noch so jung. Noch viel zu jung, zum Sterben. Bleib weg, sag ich dir, komm nicht näher!”

“Quatschkopf”, lachte die kleine Fliege übermütig, “du bist die schönste Rose, die ich bisher in meinem kurzen Leben gesehen habe. Ich möchte riechen können, wie du duftest.” Setzte zum Flug an und landete zielsicher auf einem Blütenblatt. – Und erschrak. “Hey, deine Blätter sind ja gar nicht weich, sondern hart wie Stein!”

“Na klar, sind sie nicht weich, ich bin nämlich keine Rose, man hat mich hier an die Wand geklebt, damit es so aussieht, als wäre ich eine Rose. Und wenn du an mir riechst, wirst du sterben. Hör auf mich, hau endlich ab!”

Der Fliege wurde es unheimlich zumute. Intuitiv hob sie ab. “Wieso siehst du aus, wie eine Rose, bist aber keine? Versteh ich nicht”, rief sie ihr aus sicherer Entfernung zu.

“Damit sich dumme Fliegen, wie du, von meiner Schönheit angezogen fühlen, sich auf mir niederlassen, die Dämpfe einatmen, mit denen ich getränkt bin, davon total müde werden, sich bald nicht mehr bewegen können und dann für immer einschlafen!”

Die kleine Fliege erschrak zutiefst. ” Du siehst also aus wie eine wunderschöne Rose, bist aber in Wahrheit ein Fliegentöter?”

Die Rose atmete erleichtert auf. “Genau. Endlich hast du es kapiert.”

“So eine Gemeinheit! Warum trachtest du uns nach dem Leben? Wir haben dir doch nichts getan!”

Die Rose wurde traurig. “Nimm es doch nicht persönlich, Kleine. Lieber würde ich selbst sterben, als euer Todesbote zu sein, glaube mir. Aber die Menschen sitzen nun mal am längeren Hebel. Ich hatte keine Chance. Ich wurde hier hin geklebt, um euch Fliegen auszurotten.”

“Aber, warum denn das? Wir haben den Menschen doch nichts getan?”Die kleine Fliege zitterte vor Angst.

” Ihr seid lästig, ihr nervt. Und weil ihr euch so schnell vermehrt, seid ihr eine Plage für die Menschen. Manche Menschen haben so komische Dinger, mit denen sie auf euch herumhauen, um euch zu töten. Andere hängen so seltsame Streifen in den Raum, damit ihr daran kleben bleibt und qualvoll verendet. Und wieder andere hängen Rosen auf, wie mich. – Und wenn du mich fragst, diese Menschen, die Rosen aufhängen, haben ein schlechtes Gewissen, weil sie euch töten. Darum kleben sie Rosen an die Wände. Denn durch die Dämpfe, die ihr einatmet, wenn ihr an uns schnuppert, müsst ihr wenigstens nicht qualvoll sterben, sondern schlaft ganz ruhig, für immer ein.”

“Aha … “ nickte die kleine Fliege verstehend “ … also gibt es gute und böse Fliegentöter … ich kann also froh sein, dass hier ein guter Fliegentöter wohnt, denn sonst hätte ich keine Chance gehabt, zu überleben. Oder?”

“Richtig, Kleine. Und wenn du noch eine Weile leben willst, dann rate ich dir, schnellstens hier zu verschwinden! Halte dich nur im Freien auf, fliege in keine Häuser mehr. Und lasse dich nie auf Menschen nieder. Lass sie einfach in Ruhe, dann lassen sie dich auch in Ruhe.”

“Das ist ein guter Tipp. So werde ich es machen. Danke!” Sie lächelte. “Und weißt du, was? Du bist total nett! Ein richtig guter Freund. Und darum … komme ich dich auch ab und zu besuchen, damit du hier nicht so alleine rumhängen musst.” Sagte es und schwirrte davon.

“Oh, nein! Bist du lebensmüde? Tu das nicht!” Aber die Fliege war schon außer Reichweite und konnte sie nicht mehr hören. Die Rose seufzte schwer.  „Ach, ja…wenigstens habe ich es geschafft, dass die Kleine etwas vorsichtiger ist.”  – Und ein leises Gefühl von Stolz erfüllte sie. Sie hatte schließlich alles versucht, um die Fliege vor einem Unglück zu bewahren. Was die Kleine nun mit ihrem Leben anfing, musste sie alleine entscheiden. Das war nun mal der Lauf des Lebens.

Porzellangesicht

***  Strahlend weiße Zähne aus einem breit lächelnden Mund – Emilia hasste ihr puppenhaft eingemeißeltes Spiegelbild, auch die gestellte Fröhlichkeit, die sie dem Blick ihrer braunen Augen zu geben vermochte. Nur sie selbst sah die unendliche Traurigkeit darin, anderen blieb sie verborgen.

`Jahre lange Übung, macht eben den Meister´, ließ sie stumm ihrem Sarkasmus ein wenig Lauf. `Porzellangesicht, veränder´ dich nicht, denn nur so … wollen sie dich´. Wen interessierte schon, wie es in ihr aussah, wie sie sich fühlte, was sie dachte. Keinen Menschen interessierte es… auch Emilia selbst, interessierte es schon lange nicht mehr.
`Alles im Leben hat seinen Preis, und ich hab entschieden, so zu sein, wie sie mich haben wollen, also, warum so traurig?´
Sie besaß ein prall gefülltes Bankkonto, hatte bereits die halbe Welt bereist, traumhaft schöne Strände und Städte gesehen, war in der Welt der Reichen und Schönen zu Hause, das alles war doch so viel mehr – … als das Häuschen im Grünen, dass Frank ihr hätte bieten können. War doch viel mehr wert, als seine Liebe zu ihr, die in seinen Augen erlosch, als sie sich gegen ihn und für die Karriere entschieden hatte.

Bernard hämmerte wütend an ihre Tür. „Emilia! Wo bleibst du denn? Spiel hier nicht die Diva! Höchste Zeit, es geht gleich los!“
„Sorry, hab nicht auf die Uhr geguckt, ich komme sofort!“ ließ sie zuckersüß ihre Stimme nach draußen dringen, wohl wissend, dass sie Bernard sofort besänftigen würde.
„ Okay, bitte beeile dich, es ist wirklich höchste Zeit, der Saal ist proppevoll, wir müssen loslegen, die werden schon ungeduldig.“
Sie hörte, wie seine Schritte sich entfernten.
Prüfte im Spiegel ihren Gesichtsausdruck, regulierte ihn, bis sie aussah, wie die Meute sie sehen wollte, so, wie es zum Thema passte. Erhob sich dann schwungvoll.
Fühlte ihre langen schlanken Beine, die sie wie immer fest und sicher tragen würden, hinaus aus der Garderobe, auf den nächsten Laufsteg, auf die nächste Sprosse ihrer Karriereleiter. Die Modenschau heute Abend war besonders wichtig. Die Reichsten der Reichen waren versammelt.
Emilia trat auf den Flur. Zog ihre Garderobentür fest hinter sich zu.

Schloss sie ein, die Sehnsucht, nach der zärtlichen Männerhand die früher einmal liebevoll ihr Gesicht liebkost hatte. Schloss sie ein, das dunkle Blau der Augen, das ihrem Herzen einst Wärme schenkte und den Körper, der immer wieder aufs Neue die Leidenschaft in ihr entfacht hatte. Schloss sie ein, weg, die Erinnerungen. Richtete ihren Blick entschlossen nach vorn.
Der Laufsteg rief. Und sie lief ihm eilig entgegen. Ihm, und ihrem erwählten Leben.

Marlene räumt auf

***  „So ein Käse!“ schimpfte Marlene und sprang vom Stuhl hoch. Und zog ihren Ring aus, bevor sie das verkippte Huhn-Geschnetzelte mit einem Küchenkrepp vom Boden aufhob und es zum Fisch von gestern in den Mülleimer beförderte.

Sie verfluchte Armin. Weil er sie schon wieder mit dem Abendessen versetzt hatte … „ Ich muss heute länger arbeiten, Schatz, warte nicht mit dem Essen auf mich, es wird spät werden“. – Hach, ob er tatsächlich dachte, sie würde ihm seine Ausflüchte noch glauben?

Lange Zeit hatte sie sie geglaubt, ja, aber nur, weil sie ihm glauben wollte. Als Reporter muss man schon mal Überstunden schieben, okay. Das hatte sie eingesehen. Und dass er keine Lust auf lange Gespräche und Zärtlichkeiten im Bett hatte, wenn er von 7 Uhr morgens bis spät in den Abend gearbeitet hatte – auch dafür hatte sie Verständnis gehabt.  Auch hatte sie Monate lang ohne Murren akzeptiert, dass er nach einer anstrengenden Woche, anstatt mit ihr zusammen etwas zu unternehmen, am Wochenende lieber vor dem Fernseher lag oder Spielchen am PC machte, um sich zu erholen.  – Erst als er auf einmal auch am Wochenende seiner Arbeit nachgehen musste und mit „Wird wohl Abend werden, mach dir einen schönen Tag, Liebling“ die gemeinsame Wohnung verließ – seltsamer Weise kein bißchen müde von der anstrengenden Woche und irgendwie erleichtert –  erst dann hatte Marlene die Gedanken zugelassen, die schon länger in ihr keimten.

Sie warf einen Blick über das Chaos in der Küche, auf den gedeckten Tisch, auf den Ring, den sie neben ihrem Teller abgelegt hatte. … Zeit, um Aufzuräumen, dachte sie. ..

Dann deckte sie den Tisch ab, spülte, warf ihren Ring zu Fisch und Huhngeschnetzeltem in den Mülleimer, brachte den Müll hinaus zur Tonne. Ging ins Schlafzimmer, nahm den großen Koffer vom Schrank und packte ihn voll mit Armins Kleidung. Stellte ihn dann vor die Wohnungstür. Schluss. Aus. Vorbei. –  Aufgeräumt.

Für ein paar Tage

*** Ihre Ellbogen klebten an der fettigen Oberfläche des wackligen Tisches. Sie hob die grau verfärbte Tasse mit dem Espresso an die Lippen. Ihre Hände zitterten. Die Augenlider flatterten leicht, vor Nervosität.

„Bist wohl von zu Hause weggelaufen, Kleine“, raunte ihr eine tiefe, weibliche Stimme ins Ohr.
Jane erschrak und errötete bis in die Haarspitzen. Sie hatte nicht bemerkt, dass die Bedienung mit der fleckigen Schürze sich so nah an sie heran gestellt hatte.
„Brauchst keine Angst zu haben, Kleine“ ,flüsterte die ihr beruhigend zu, „ von mir erfährt keiner was. Bin selbst auch in meiner Jugend von zu Hause ausgebüxt.“
Sie knipste Jane eines ihrer müden Augen und nahm ihr die Tasse aus der zittrigen Hand. „Der ist doch schon kalt! Schmeckt dir wohl nicht? Hab ich mir gleich gedacht, Espresso ist nix für so junge Mädchen wie dich. Ich bring dir nen Pfefferminztee, der wird dir gut tun. Geht aufs Haus. Und… “, sie machte eine bedeutsame Pause, bevor sie ihr verschwörerisch ins Ohr flüsterte, ” falls du noch keinen Unterschlupf hast, zwei Straßen weiter, da steht eine alte Villa, schon halb abgerissen, aber ein Teil davon ist noch halbwegs bewohnbar. Paar alte Möbel stehen auch noch rum. Und den zwei alten Pennern, die da wohnen sagst du, Klara hat dich geschickt. Dann wissen die Bescheid, dass du von mir kommst und die halten dann dicht, falls die Polente dort nach dir sucht.“ Dann schlurfte sie wieder zur Theke.

Jane atmete erleichtert auf. Ihr größtes Problem auf dieser Flucht hatte sich soeben von selbst gelöst, zumindest für die nächsten Tage würde sie ein Versteck haben, in Ruhe darüber nachdenken können, wie es weitergehen sollte.

Bestimmt würde es in der alten Villa vor Dreck und Staub nur so strotzen, vielleicht würden sogar Ratten herum laufen, vielleicht würden die beiden alten Männer sie lüsternd betrachten, aber das war ihr egal, das würde sie ertragen. Alles war besser, als weiterhin das Rumkrabschen ihres Stiefvaters erdulden zu müssen. Seit dem Tod ihrer Mutter kam er fast jede Nacht zu Jane ins Bett. Und drohte ihr, sie umzubringen, wenn sie jemandem davon erzählen würde.
Obwohl sie erst sechzehn Jahre alt war hatte sie sich in den letzten Monaten gefühlt, als wenn sie ihr Leben schon hinter sich hätte, war willenlos dem Mann ausgeliefert gewesen, der ihrer herzkranken Mutter Liebe vorgegaukelt und sich dann in ihrem Leben breit gemacht und nach ihrem Tod ihr Vermögen an sich gerissen hatte.
Erst als er vor einigen Tagen geldgierig und ohne mit der Wimper zu zucken das von Generation zu Generation vererbte Klavier ihrer Mutter verkaufte, war Jane aus ihrer Lethargie erwacht. Und fing an innerlich zu rebellieren, gegen diesen Mann, dessen bloßer Anblick ihr mittlerweile Ekel einflößte.

„Hier, Kindchen, dein Tee. Den trinkst du jetzt brav aus.“ Die alte Klara drückte ihr mit bestimmtem Griff eine hohe Tasse in die Hände. „Und jetzt packe ich dir noch eine Tüte voll mit was Anständigem zu Essen drin, für die nächsten Tage, für euch drei. Und ne Flasche Fusel und paar Zigaretten für die zwei Alten. Das ist für die dann wie Weihnachten.“ Sie lächelte Jane aufmunternd zu. „Du brauchst keine Angst zu haben, die zwei sind ganz lieb. Und egal, wer auch immer hinter dir her ist, die beiden werden dich wie zwei Löwen beschützen. Bei denen bist du sicher.“ Sie tätschelte Jane mit mütterlicher Geste kurz auf die Schulter, wandte sich dann abrupt ab und ging schleppenden Schrittes auf die kleine Küche hinter der Theke zu.

Jane sah ihr dankbar hinterher. Trank dann den Tee in kleinen Schlucken. Spürte wie der frische Duft der Pfefferminze ihre Gedanken klärte und sich gleichzeitig eine angenehme Wärme in ihrem Körper entfaltete. Und fragte sich, wann sie sich das letzte Mal so wohl gefühlt hatte.

Ich denk an dich

***  Sie müsse noch ´Schreibkram ordnen´ hatte sie ihm gesagt, bevor sie sich in das kleine Arbeitszimmer im Keller verzog. Bekam natürlich keine Antwort, denn ihm war eh egal, womit sie sich beschäftigte. Renate setzte sich an den alten Schreibtisch, knipste das Leselämpchen an, nahm Papier und Stift aus der Schublade, gab dem Drang ihrer Gedanken nach und begann zu schreiben …

“ Ich sitze hier und denk an dich. Weiß nicht warum. Es kam einfach so über mich, plötzlich war es da. Ich sehe deine Augen ganz deutlich vor mir. Wie sie mich immer angesehen haben, warm und zärtlich. Dein verschmitztes Lächeln, wenn du dir mal wieder eine kleine Überraschung für mich ausgedacht hattest. Dein schräger, lausbübischer Blick, wenn du mich mal wieder ein klein wenig `auf die Schulter´genommen hattest, ohne dass ich es sofort bemerkte.

Immer wenn ich an dich denke, dann denke ich auch an uns. Wie es damals war. Wie es hätte sein können, wenn wir uns nicht getrennt hätten. Warum hatten wir uns überhaupt getrennt? Ach ja, weil ich es so wollte. Weil ich dachte, es reicht nicht für ein Leben, sich nur gut zu verstehen. Weil ich damals noch den Traum vom Prinzen vor Augen hatte, der mich alleine mit seinem Anblick so verzaubert, dass ich die Augen nicht von ihm wenden kann. Wir waren noch jung und unerfahren, hatten noch keine Ahnung von dem, was im Leben wirklich zählt.

Ich hoffe, du bist glücklich geworden und hast eine Frau gefunden, die all das an dir zu schätzen weiß, was mir damals nicht genug war. Und die Frage, die mich am meisten beschäftigt: …Lebst du noch?…
…Er ist furchtbar für mich, der Gedanke, dass es dich nicht mehr geben könnte, auf dieser Welt. Warum? Weiß ich nicht. Einfach so.
Es ist nicht so, dass ich noch immer in dich verliebt wäre. Nein, nein, das ist es nicht. So richtig verliebt war ich ja auch damals nicht. Ich fühlte mich nur wohl mir dir. Geborgen. Weiter nichts.
Nun sitz ich hier und denk an dich. Und frage mich: Wo bist du?…  “

**

“Renate! Bist du endlich fertig mit deiner Schreibkram-Ordnerei?” klang seine ungehaltene Stimme in den Keller hinunter. ” Hast du mal auf auf die Uhr geguckt? Gibt es heute kein Abendessen? Und Bier hast du auch wieder keines in den Kühlschrank gestellt! Herrje, an alles muss man selber denken.”
“Ja, Schatz. Komme sofort!” In Windeseile zerfetzte Renate das Blatt Papier in kleine Einzelteile und mischte die Schnipsel unter das Altpapier in der Papiertonne. Ihre persönlichen Gedanken gehörten nur ihr allein, die gingen, außer ihr, niemanden was an.
Vor ihrem geistigen Auge erschienen zwei belustigt  blickende, braune Augen. Sie zwinkerten ihr lausbübisch zu.
Langsam stieg sie die Kellertreppe hoch. Ein warmes Lächeln lag auf ihrem Gesicht.

Mission Heiliges Wasser

***  Irgendetwas hatte mich geweckt. Mühsam öffnete ich die Augen und  stellte verwundert fest, dass alle Lichtkegel im Raum eingeschaltet waren. Eigenartig. Ich war mir völlig sicher, dass ich sie vor dem Einschlafen ausgeschaltet hatte.
„Sei gegrüßt, Kolja“, vernahm ich eine vertraute Stimme neben mir.
Überrascht wandte ich den Kopf zur Seite: „Pankraz? Du?“
Er schmunzelte und zupfte vergnügt an seinem Schnauzbart herum. „Sieh mich nicht an, als wäre ich ein Geist. Ich habe einen Eilauftrag für dich, darum musste ich dich so unsanft wecken.“ Mit einem breiten Grinsen im Gesicht musterte er meine mit bunten Fischen bedruckte Schlafkleidung.

Ich ignorierte seinen belustigten Blick. „Nun sag schon, was ist das für ein Auftrag?“ Mein Herz klopfte erwartungsvoll.
„Unser Bestand an heiligem Wasser ist fast aufgebraucht. Du musst wieder runter auf die Erde fliegen, um die Tanks aufzufüllen.“
Ich spürte, wie meine Augen feucht wurden, vor Freude.
„Freu dich nicht zu früh“, warnte er eindringlich, „denn dieses Mal wirst du mit Eskorte hinunter fliegen: Arestus und Karbon werden dich begleiten.“
Ich erstarrte. „Kyras Leibgarde!“
Er nickte mitleidig. „Sie hat darauf bestanden, dass die beiden jeden deiner Schritte überwachen. Damit du nicht wieder, wie beim letzten Mal, auf die Idee kommst, es dir da unten gemütlich zu machen. Aber trotz deiner Verfehlung bist du nun mal der beste Mann für diesen Job, sagt Kyra. Und jetzt steig endlich aus der Schlafkoje, es ist höchste Zeit, das Spider-Ship ist schon startbereit.“
„Oh, nein, nicht schon wieder mit diesem alten Rumpel-Schiff!”

**

Das Spider-Ship rappelte und dröhnte, schüttelte uns durch auf diesem Flug durch Raum und Zeit. Ich fühlte mich unwohl dabei. Denn Karbons äußerst bescheidene Flugkünste waren mir ebenso gut bekannt, wie die Eigenmächtigkeit, die das alte Schiff unerwartet an den Tag legen konnte. Ich hatte starke Bedenken ob wir jemals sicher auf der Erde ankommen würden und faltete heimlich schon mal meine Hände, zum letzten Gebet.

„Es ist Zeit, zieh dich um“, brummte Arestus mir übellaunig zu.
Gehorsam zog ich die „Fellachen-Kleidung“ an, die Kyra nach Bildern der Überlieferung hatte anfertigen lassen. Für den Fall, dass ich von Einheimischen gesehen wurde, würde ich so kein Aufsehen erregen.
Als das Spider-Ship hinter dem Palmenhain aufsetzte, atmete ich erleichtert auf.

„Okay, Kolja. Raus mit dir. Und denk dran, wir haben dich genau im Auge!“ Arestus wies in seiner typisch arroganten Manier mit seinem Kopf zu einem kleinen Bildschirm, an dem Karbon gerade die nötigen Einstellungen vornahm.
Ich nickte, öffnete die Luke und trat hinaus.

**

Die Kühle der Nacht drang in meine Lungen. Ich atmete mehrmals tief ein und aus. Was für eine herrlich klare Luft! Mit geübten Handgriffen entsicherte ich im Dunkeln den Laderaum, öffnete die Spule, entnahm ihr den eingerollten Schlauch und hängte ihn um eine Schulter. Nachdem ich den Saugschlauch vorschriftsmäßig an den ersten der sechs leeren Wassertanks angeschlossen hatte, pirschte ich mich so leise wie möglich an den Fluss heran, watete einige Meter hinein, senkte den Schlauch ins Wasser und schaltete die Saugvorrichtung ein. Sofort spürte ich das schon vertraute Vibrieren in den Händen.

„Nil“ nannte Kyra dieses Gewässer und laut unseren Überlieferungen war es ein „heiliger Fluss“, weil sein Wasser  heilende Kräfte hatte. Schon oft hatte ich mich gefragt, ob es tatsächlich die Kraft dieses Wassers war, die die Lungenkrankheit von uns Marsianern eindämmte, oder ob vielleicht nur der Glaube daran, dass das Wasser aus dem Nil heilende Kräfte hatte, diese Linderungen bewirkte. Ich  traute mich aber nicht, diesen Gedanken laut auszusprechen, denn damit würde ich mir Kyras Zorn zuziehen.
Über mir sah ich die Sterne am Himmel funkeln. Ihr sanftes Licht legte ein geheimnisvolles Glitzern über das Wasser. Sehnsüchtig warf ich einen Blick in die Ferne.

Bei meinem letzten Besuch hier hatte ich mich dazu hinreißen lassen, nach dem Füllen der Tanks die Tarnglocke über dem Schiff einzuschalten, um eine ausgedehnte Wanderung ins Landesinnere zu unternehmen. Bei Tagesanbruch hatte ich mich neugierig unter die Einheimischen gemischt, mir die vielen appettitlichen Früchte angesehen und die köstlichen Düfte eingeatmet von gebratenem Fleisch, frisch gebackenem Brot und starkem Kaffee. Diese Lebensmittel gab es, in dieser Form, nicht bei uns auf dem Mars. So hatte ich mich damals verliebt in dieses Land, dass Kyra „Ägypten“ nannte.

Ich konnte nicht verstehen, warum unsere Vorfahren das Leben auf der Erde kampflos aufgegeben hatten und auf den  Mars geflüchtet waren. Terror und Angst, so hieß es in den Überlieferungen, gehörten damals zum Leben wie das tägliche Essen. Als meine Vorfahren die Flucht zum Mars angetreten hatten, waren sie sich völlig sicher gewesen, dass ihre heimlich entwickelten Technologien ihnen genug  Sauerstoff verschaffen würden, um auf dem Mars ein normales Leben führen zu können. Aber sie hatten nicht damit gerechnet, dass ihr sorgfältig ausgeklügeltes System das Leben auf dem Mars zwar möglich machten, aber die Bewohner fortan ihr Leben lang mit schweren Lungenkrankheiten zu kämpfen haben würden. – Wenn ich es mir hätte aussuchen dürfen, dann wäre ich lieber auf der wohlriechenden Erde, als auf dem stickig dampfenden Mars geboren worden. Ich hätte es gerne in Kauf genommen, dass mir ein von Angst beherrschtes Leben beschieden gewesen wäre, hätte um mein Dasein gekämpft und dafür meine Lungen mit dieser wunderbar frischen Luft füllen können, die den Kopf so klar und das Herz so weit machte.

Ein leises Piepsen drang an mein Ohr. Der erste Tank war voll. Ich schaltete schnell den Melder aus und blieb einen Moment lang regungslos stehen. Nichts bewegte sich rundherum. Kein Ton war zu hören. Dann ging ich vorsichtig den Weg zurück und klemmte den Saugschlauch an den nächsten Tank an.

**

Die zwei Stunden, die für das Abfüllen nötig waren, vergingen mir viel zu schnell. Schon war der Zeitpunkt des Abschieds gekommen.
Schweren Herzens wickelte ich den Schlauch wieder auf die Spule und sicherte dann den Laderaum von außen ab, mit so langsam behäbigen Bewegungen, als wenn ich die Zeit damit aufhalten könnte. Es widerstrebte mir, ins Schiff zu steigen und wieder nach Arche-Town zurück fliegen zu müssen. Wie leicht wäre es gewesen, jetzt einfach drauflos zu laufen und ins Landesinnere zu fliehen! Die Tanks waren voll, die Mission somit erfüllt. Deshalb würden sich Arestus und Karbon nicht die Mühe machen, mich wieder einzufangen. Sie würden Kyra irgendeine üble Geschichte über mich auftischen und sich selbst als Helden darstellen.

Aber ich musste auch an meine kleine Schwester denken. Seit dem Tod unserer Eltern war ich verantwortlich für Ellin. Urplötzlich ergriff ein Gedanke von mir Besitz, entzündete ein  Licht in meinem Kopf:  … Vielleicht wäre es ja möglich, zusammen mit Ellin auf die Erde zu fliehen?…

„Von mir aus kannst du hier Wurzeln schlagen“, hörte ich Arestus´ feindselige Stimme hinter mir, „wir fliegen jetzt zurück, Kolja. Entweder du steigst jetzt ein – oder bleibst, wo der Pfeffer wächst!“

`Das könnte dir so passen, Arestus´, dachte ich zornig und schluckte die spitze Bemerkung stumm hinunter.

Ich ließ noch ein letztes Mal meinen Blick über den silbrig glänzenden Nil gleiten. Ein Gefühl der Zuversicht machte sich in mir breit. Ja, ich war mir sicher, mit guter Vorplanung könnte die Flucht glücken. Sie musste! … Schon bald würde die Zeit kommen und ich würde für immer hier bleiben, mit meiner kleinen Schwester. In Ägypten, dem Land des heiligen Wassers…
Mit einer nie gekannten Vorfreude im Herzen stieg ich ins Spider Ship ein.

Sprachlos

“Kramer…?”  – Keine Antwort. – ”Halloooo?”

“…….Hallo Brigitte.”

“Ja? Wer spricht da?”

“Ich bin´s”.

“Ähm…”

“Du erkennst meine Stimme nicht?”

Nein. Sollte sie?  “Äh…sie kommt mir zwar bekannt vor, aber im Moment weiß ich nicht so recht…”

“Schade. Ich habe also nicht so einen nachhaltigen Eindruck bei dir hinterlassen, wie du, bei mir?”

“Wir kennen uns? Dann liegt es bestimmt am Telefon, dass ich deine Stimme nicht…tut mir leid, hilf mir doch mal auf die Sprünge, bitte.”

“Letzten Samstag, im Starfield, an der Theke, ich bin´s Joachim!”

“Aaahh. Na klar! Im Starfield ist es immer so laut, darum habe ich deine Stimme wohl am Telefon nicht gleich wieder erkannt. Sorry, Joachim, nimms nicht persönlich.” – Wer war Joachim? Sie konnte sich nicht erinnern.

“Ja, es war wieder ziemlich laut dort. Deine Stimme klingt am Telefon noch schöner, als ich sie in Erinnerung habe. Ich hatte solche Sehnsucht danach, wieder mit dir zu sprechen. Ich fand unsere Unterhaltung sehr anregend. Schade dass du schon gehen musstest, ich hätte dich gerne näher kennen gelernt. Ich glaube, wir sind füreinander bestimmt.”

Oh, Gott! Langsam dämmerte ihr, wen sie da an der Strippe hatte. Es verschlug ihr die Sprache.

“Brigitte? Du bist so still. Sag doch was. Ich weiß, du fühlst genau so wie ich. Ich konnte es ganz deutlich spüren. Wir haben uns gesucht, und gefunden.”

Sie konnte sich gerade noch abbremsen, um nicht laut zu lachen. Es war wohl eher so gewesen, dass Joachim sie gesucht und dann an der Theke gefunden hatte. Obwohl sie ihm bewusst den ganzen Abend über aus dem Weg gegangen war, weil ihr seine schmachtenden Blicke unangenehm gewesen waren. Als er sie dann doch noch aufgespürte und ansprach, hatte sie ein paar belanglose Worte mit ihm gewechselt. Weil er ihr leid tat, er war scheinbar alleine in der Disco und fand keinen Anschluss. Als ihr klar wurde, dass sie ihn den Rest des Abends nicht mehr loswerden würde, war sie mit einem “Muss jetzt leider gehen, muss Morgen früh raus, Tschüss, machs gut” – aus dem Starfield geflüchtet.

“Brigitte? Bist du noch dran? Wir müssen uns unbedingt wiedersehen und unsere Begegnung vertiefen. Hast du heute Abend Zeit? Ich würde dich dann so gegen 20 Uhr bei dir zu Hause abholen.”

Hatte er ihre Adresse? … Und woher hatte er ihre Telefonnummer?! … Ihr wurde mulmig zumute. Es war wohl an der Zeit, die Karten auf den Tisch zu legen. Sie gab sich einen Ruck. “Hör mal, Joachim. Es war ja ganz nett mit dir zu plaudern, aber mehr möchte ich nicht, okay?”

“Ist schon okay. Ich werde dir natürlich die Zeit geben, die du brauchst. Dann plaudern wir eben nur. Kann ich dich denn so gegen 20 Uhr abholen? Wir könnten irgendwo was essen und dann gehen wir es ganz langsam an.”

Sie war wohl nicht deutlich genug gewesen. “Joachim. Ich möchte mich nicht mir dir treffen! Ich habe kein Interesse daran, dich näher kennen zu lernen. Bitte akzeptier´ das!”

“Aber, wir können doch nicht einfach so auseinander gehen, als wäre nichts gewesen!”

“Joachim, da ist nichts gewesen, zwischen uns! Wir haben uns doch nur ein wenig unterhalten, mehr nicht.”

“Mehr nicht? Oh, Brigitte, es ist dir nur noch nicht bewusst: wir haben uns ineinander verliebt!”

Jetzt wurde es ihr langsam zu bunt. “Joachim, bitte, ich will nicht unhöflich werden. Lass uns das Gespräch jetzt im Guten beenden. Ich bin nicht in dich verliebt und möchte auch keinen weiteren Kontakt zu dir!”

Stille. War sie jetzt zu hart gewesen?

“Joachim”, versuchte sie es in sanfterem Ton, “tut mir leid, dass ich so direkt sein muss, aber ich möchte nicht, dass du dir falsche Hoffnungen machst. Sieh mal, es wäre nicht fair von mir, wenn ich mich mit dir treffen würde, dir damit Hoffnungen mache, die ich aber nicht erfüllen möchte.”

” …Ja, das ist wirklich fair von dir.”

Sie atmete auf. “Also dann, Joachim, ich wünsche dir alles Gute. Nichts für ungut, okay?”

“Ja, nichts für ungut. Okay… Ich hätte da wohl noch eine Frage…”

Seine Stimme klang bedrückt. Er tat ihr leid. Sie gab ihrer Stimme einen mütterlich-verstehenden Klang. “Ja, klar, frag nur.”

” Das Mädchen hinter der Bar, im Starfield, weißt du, die mit den brünetten langen Haaren…”

Brigitte stutzte. “Du meinst, Carla?”. Was hatte Carla mit all dem zu tun? Oder hatte die ihm etwa Brigittes vollen Namen gesteckt, so dass er mühelos ihre Telefonnummer herausfinden konnte?

“Ja, genau! Carla Bachner, die meine ich.”

“Nein, nicht Bachner, die heißt Höferer mit Nachnamen.”

“Aha…Danke! ”

– Klick.